Vor einigen Tagen habe ich es wieder hervorgeholt: mein Stundenglas.
Es ist eine recht große Sanduhr, gefüllt mit grauem, leicht glänzendem Sand. Wenn ich es umdrehe, rieselt der Sand ganz leise durch die Verengung in der Mitte – und das eine ganze Stunde lang.
Dieses Stundenglas erinnert mich immer an meine Zeit in der Klinik. Damals war es ziemlich stressig. Als Oberärztin war ich viel gefragt, nicht nur von Patienten, auch von meinen Mitarbeitern im Team. Oft kam es vor, dass ich von früh bis spät mit anderen in Kontakt war. Selten hatte ich eine ruhige Minute für mich.
“Du musst ab und zu eine Pause machen. Selbst wenn es nur eine Minute ist.”
Diesen Rat kannte ich natürlich und hatte ihn auch nochmal in einem Seminar für Stressmanagement bei Führungskräften gehört.
Aber wie? – Ich hatte es schlichtweg immer vergessen.
Und wenn ich mir eine Uhr stellte, um mich daran zu erinnern, so klingelte die immer gerade dann, wenn ich es nicht brauchen konnte, und anschließend war der gute Vorsatz wieder vergessen.
Mein Stundenglas, das ich geschenkt bekommen hatte, hat mich dann gerettet. Leise mahnend stand es auf meinem Schreibtisch.
Wenn ich zur Arbeit kam, fiel mein Blick direkt darauf. Es flüsterte mir zu “Schließ mal deine Augen. Nur für eine Minute. Achte auf deine Atmung. Nur eine einzige Minute. Komm zu dir. Komm bei dir an.”
Und ich folgte dieser Aufforderung, entspannte mich, und die Welt da draußen musste eine Minute länger auf mich warten (es ist übrigens erstaunlich, dass eine einzige Minute innehalten so viel bewirken kann).
Und dann drehte ich es um, ließ den Sand leise nach unten rieseln. Immer wieder. Wenn ich im Lauf des Tages bemerkte, dass die Zeit abgelaufen war, hielt ich wieder inne, um es anschließend wieder umzudrehen.
Heute ist mein Leben längst nicht mehr so stressig. Dennoch hole ich das Stundenglas gern hervor. Es erinnert mich auch heute daran, dass es in meiner Hand liegt, wie schnell ich mein Tempo wähle, und dass eine einzige Minute ganz ganz viel entschleunigen kann.
Und so steht es auch jetzt wieder auf meinen Schreibtisch und beim Tippen fällt mein Blick darauf. Ich schaue dem Sand zu, wie er leise, unaufdringlich, aber auch unaufhaltsam nach unten rieselt.
Auch Ihnen wünsche ich so eine kleine Erinnerungshilfe, dass das Leben keine Aneinanderreihung von Aufgaben sein muss, sondern auch ab und zu mal eine kleine Pause dazwischen Platz haben kann.
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