Eine Mutter stand mit ihrem Jungen vor dem Eingang eines Labyrinths. Doch statt freudig hineinzustürzen blieb der Kleine lange vor dem Eingang stehen und schaute betreten.

„Was hast du denn“, fragte die Mutter.

„Ich weiß nicht, wo ich langgehen soll“, seufzte der Kleine. 

„Den Weg findest du, wenn du ausprobierst“, ermunterte ihn die Mutter. Doch der Junge blieb weiterhin stehen. Er wollte solange warten, bis sich ihm der richtige Weg zeigen würde.

Eine halbe Stunde später standen die beiden immer noch vor dem Labyrinth. Das Kind war den Tränen nah. Je angespannter er auf den Eingang starrte, desto bedrohlicher kam ihm das Labyrinth vor.

„Na komm“, sagte die Mutter noch einmal aufmunternd. „Du wirst schon den richtigen Weg finden.“

„Aber was, wenn ich mich verlaufe?“

Die Mutter merkte, dass nun ein wichtiger Augenblick gekommen war, um ihrem Kleinen eine Weisheit fürs Leben mitzugeben. Sie kniete sich vor ihm nieder.

„Weißt du,“ begann sie, „unser ganzes Leben besteht aus vielen Möglichkeiten und oft sehen sie ganz gleich aus.
Wie hier im Labyrinth. Und auch da wirst du dich immer mal wieder verlaufen und einen neuen Weg einschlagen müssen.
Aber das ist nicht schlimm. Du kannst ja vorher gar nicht wissen, was der richtige Weg ist. Und oft gibt es auch gar nicht nur einen richtigen Weg, sondern viele Wege, die ans Ziel führen.

Den richtigen Weg findest du, indem du die Möglichkeiten ausprobierst, bei den Sackgassen wieder umkehrst und einfach so lange weitermachst, bis du den Ausgang gefunden hast. Und mit jeder falschen Abzweigung weißt du ein bisschen mehr.

In einem Labyrinth geht es nicht darum, so schnell wie möglich und ohne Irrwege durchzugehen, sondern Spaß beim Finden des Ausgangs zu haben, ok?“

„Okay“ sagte der Junge und seine Miene hellte sich auf. „Dann probiere ich es einfach mal aus. Kommst du mit?“

Die Mutter sah ihn eine ganze Weile lang an. „Ich glaub, du kannst das ganz allein“ sagte sie endlich. „Na los, finde deinen Weg.“

Während sie draußen auf ihren Sohn wartete, der sich im Labyrinth austobte, höre sie immer wieder aus den unterschiedlichen Ecken des Labyrinths seine Jauchzer „Ich bin jetzt schon dreimal an der gleichen Stelle angekommen. Das ist ja richtig lustig!“ kicherte er. „Aber beim nächsten Mal finde ich den Weg. Ganz bestimmt!“

Und die Mutter lächelte.

Darf’s noch ein bisschen mehr Mut sein?

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